Wein wird digital: Potenziale in der Weinbranche

Ein Finger, der auf die Mitte eines digitales Netzes zeigt
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Digitalisierung ist in aller Munde, und obwohl der Begriff so häufig gebraucht wird, versteht jeder was anderes darunter. Das Spektrum ist groß und reicht von der Automatisierung im Produktionsbereich bis hin zum Austausch von Informationen, der zwischen Produzenten und Lebensmittelhändlern vielfach noch analog erfolgt. Vor allem im Verkauf und im Back-Office-Bereich wird noch immer viel »per Hand erledigt«, was eigentlich digital erfolgen könnte. Deshalb birgt die Digitalisierung in diesem Bereich viel Optimierungspotenzial und kann helfen knappe Ressourcen besser zu nutzen.

Viel Arbeitszeit wird von qualifiziertem Personal beansprucht, das eigentlich beraten und verkaufen sollte. Das Hauptproblem bilden die Unmengen an Daten, die jeden Wein und jeden Artikel begleiten, die wieder und wieder neu erfasst und in Datenbanken gespeichert werden. Das fängt beim Winzer im Kellerbuch an, in das alle für die Produktion wichtigen Daten erfasst werden und reicht bis zur Erstellung von Angeboten und Preislisten, die dem Handel für den Verkauf dienen.

Digital statt analog: Optimierung und mehr Sicherheit

Außer, dass die jeweilige Erfassung der Daten eines Weines wertvolle Arbeitszeit kostet, ist sie auch überaus fehleranfällig. Die erfassten Informationen reichen vom Jahrgang über die Herkunft, die engere geografische Bezeichnung wie etwa dem Namen des Weinbergs, der Rebsorte, der Qualitätskategorie oder der Geschmacksrichtung bis zu den analytischen Werten und werden ergänzt mit der Historie des Produktes, seiner Erzeugung und einer Vielzahl weiterer handelsrelevanter Daten. Durch die vielfach manuelle Erfassung entstehen zahlreiche Medienbrüche, die eigentlich gar nicht erforderlich wären. Denn vom Winzer über die Kontrollbehörden und Analyselabore bis hin zu den Zwischenhändlern im Groß- und Einzelhandel und selbst in der Gastronomie verwalten alle an der Wertschöpfungskette beteiligten ihre Daten in digitalisierter Form.

Das Problem? Die Vernetzung

Das Problem des Systems steckt in der ungenügenden digitalen Vernetzung. Nach Berechnungen von Forschern der Hochschule Geisenheim University kosten die Medienbrüche die Weinbranche allein in Deutschland jährlich rund 15 Millionen Euro für die Datenerfassung, ganz zu schweigen von den Kosten die durch die vielen Fehler entstehen, die sich durch die manuelle Eingabe einschleichen. Wie in anderen Bereichen der Wirtschaft sind die einzelnen Unternehmen und Kontrollinstitutionen in der Regel intern digitalisiert, nach außen hin fehlt jedoch ein einheitlicher Standard für die digitale Vernetzung.

Der bekannteste Standard zum digitalisierten Warenaustausch von GS 1, den die meisten als Strich- oder Scanner-Code auf einer Vielzahl von Produkten des täglichen Bedarfs kennen, hilft bei der komplizierten Materie Wein nicht weiter. Die hinter den Strichcodes hinterlegten Daten enthalten zu wenige spezifische Angaben, um darüber eindeutig und effizient einzelne Weine zu verwalten. Die bisherige Digitalisierung auf Unternehmensebene nützt somit wenig, wenn es darum geht Informationen und Daten zwischen verschiedenen Marktteilnehmern auszutauschen. Der Austausch und die Weitergabe von Informationen stoßen dabei schnell an ihre Grenzen, da viele unterschiedliche Datenbanken bestehen und diese nicht in der Lage sind, ohne weiteres miteinander zu kommunizieren. Es ist als sprächen sie unterschiedliche Sprachen, weshalb die Verständigung nicht funktioniert.

Die Lösung? Eine Daten-Plattform

Es gibt zwei denkbare Möglichkeiten für die Lösung des Problems: Lösung Nummer eins: Alle Teilnehmer verständigen sich auf einen einheitlichen Standard. Dies ist mehr als unrealistisch, da zu viele unterschiedliche Systeme bestehen und man sich auf einen gemeinsamen Standard wird kaum einigen können. Darüber hinaus wären viele Investitionen der Vergangenheit verlorenes Kapital. Lösung Nummer zwei besitzt da schon wesentlich mehr Chancen für eine Verwirklichung: Es wird eine von allen Marktteilnehmern nutzbare Plattform in Form eines IT-Programms geschaffen, das als sogenannte »Middleware« den neutralen Austausch von Daten und Informationen gestattet, die dazu jederzeit weiter ergänzt werden können.

Jeder Teilnehmer erhält über eine Schnittstelle Zugang und kann darüber Informationen senden und empfangen. Im Bereich des deutschen Buchhandels ist in Form der VLB-Datenbank und des zur Identifikation eines jeden Buches verwendeten ISBN-Code bereits eine solche Lösung vorhanden. Für die Weinbranche besteht die gleiche Herausforderung, ein solches System zu schaffen. Die Erwartungen sind nicht zu gering, dass von der Einführung eines solchen digitalen Systems die Wettbewerbsfähigkeit der Branche in ganz entscheidendem Maße abhängen wird.

Dr. Hermann Pilz

Seit mehr als 20 Jahren leitet Dr. Hermann Pilz als Chefredakteur die Fachzeitschrift WEINWIRTSCHAFT und schreibt leidenschaftlich gerne über die verschiedensten Themen der Wein- und Spirituosen-Branche.