Die Zukunft der Milchwirtschaft: Der Brexit wird härter als erwartet

Der Brexit betrifft alle Wirtschaftsbereiche: Auch die Milchindustrie wird vom Ausstieg der Briten aus der Europäischen Union stark betroffen sein. Es sei denn, bei den Protagonisten kehrt am Ende doch noch Besonnenheit ein. Dies scheint jedoch derzeit ein Ding der Unmöglichkeit. Denn die EU will partout einen Präzedenzfall schaffen, der jedem anderen Mitgliedsstaat auch nur den flüchtigen Gedanken an einen Austritt verdirbt.

Folgen für die Milchwirtschaft: Brexit schlimmer als das russische Embargo

Milchwirtschaftlich betrachtet dürften die Folgen eines harten Brexits die Auswirkungen des russischen Einfuhrembargos 2013 für westliche Nahrungsmittel bei weitem übertreffen. Die EU hatte vorher jährlich circa 260.000 Tonnen Käse nach Russland verkauft. 2016 beliefen sich die Käseexporte der kontinentalen EU-Länder nach Großbritannien aber auf 466.000 Tonnen. Dazu kamen noch einmal 350.000 Tonnen Joghurterzeugnisse. Nach Berechnung des Europäischen Milchindustrie-Verbandes EDA binden die Milch- und Käseexporte der EU-27 nach Großbritannien insgesamt sage und schreibe 3,9 Millionen Tonnen Milch. Das ist in etwa so viel wie ganz Österreich im Jahr an Milch erzeugt. Während es den europäischen Molkereien und Käsereien seinerzeit nach dem Russlandembargo relativ schnell gelungen ist, die Ware in andere Märkte umzulenken, wird dies ab 2019, dem Jahr, in dem die Briten die EU verlassen, kaum möglich sein.

Schwerwiegende Marktverwerfungen zu erwarten

Es drohen also schwerwiegende Marktverwerfungen. Diese werden aber bei weitem nicht nur die Bauern und Milchunternehmen auf dem Kontinent treffen, sondern auch die Menschen in Großbritannien. Insgesamt erzeugt Großbritannien nämlich nicht ausreichend Milch und Käse für den Eigenbedarf. Diese Lücke wurde traditionell über Importe geschlossen. Nach dem Brexit wird es für die Briten schwieriger, den Ausgleich zu finden. Es sei denn, sie wollen europäische Spezialitäten mit Commodities aus Neuseeland und den USA ersetzen. Außerdem drohen für allfällige Importe bestimmter originärer Produkte aus der EU enorme Zollsätze gemäß WTO, sollten die EU und Großbritannien keine Einigung finden. Die Mehrausgaben pro Kopf würden sich für Großbritannien laut Schätzungen der EDA auf umgerechnet 18 Euro pro Jahr belaufen, wenn die dortigen Verbraucher weiterhin EU-Molkereiprodukte verzehren wollen. Es ist klar, dass ab Mitte 2019, kommt es hart auf hart, angesichts des relativ niedrigen britischen Durchschnittsverdienstes kaum noch EU-Ware in den Handelsregalen auf Kunden warten würde.

Brexit lässt viele Fragen offen

Fraglich ist im Moment auch, ob es ab 2019 überhaupt einen Warenverkehr zwischen der EU und Großbritannien im Bereich Lebensmittel geben kann. Denn dieser würde eine gegenseitige Vereinbarung auf bestimmte Standards voraussetzen. Bei einem harten Brexit würde es keine solchen Abmachungen geben. Auch auf der rechtlichen Seite gelagert, kommt ein weiteres Problem auf. Kontinentaleuropäische Unternehmen müssten sich Marken, Gebrauchsmuster und vieles mehr in Großbritannien komplett neu schützen lassen, da ja das tragende Gerüst der gemeinsamen Markt- und Rechtsordnung wegfällt.

Und dann ist über eine irisch-nordirischen Grenzregelung noch gar nicht gesprochen – bei einem harten Austritt dürfte diese Merkmale der damaligen Zonengrenze in Deutschland bekommen.

Insgesamt erscheint der Brexit wie ein gordischer Knoten, bei dem ein Durchschlagen die Dinge nur noch verschlimmern würde. Selbst in einer zweijährigen Übergangsfrist ab 2019 wird es fast unmöglich, für beide Seiten, Großbritannien und EU, tragbare Regelungen auszuhandeln. Bedauerlicherweise ist die Milchwirtschaft aufgrund der großen Bedeutung des britischen Marktes in einer extrem empfindlichen Lage. Es drohen enorme Marktverwerfungen, wenn sich die britische Regierung und die EU nicht rechtzeitig im Sinne von Verbrauchern und Wirtschaft einigen.

Roland Sossna

Der gelernte Molkereifachmann, Agraringenieur und freie Fachjournalist Roland Sossna gestaltet unter anderem die Redaktion der Fachtitel molkerei-industrie und IDM International Dairy Magazine. Regelmäßig stellt er herausragende Innovationen aus der Molkerei-Branche auf dem Blog vor.