Unkompliziert und hohe Trinkbarkeit: deutsche Bierstile auf globaler Überholspur
Nach Alkoholgranaten und Aromabomben setzen jetzt auch Kreativbrauer immer häufiger auf unkomplizierte Bierstile mit hoher Trinkbarkeit. Ihre Reise geht gerade zu traditionellen Sorten wie Helles, Pils und Weißbier – allerdings mit hochexperimentellen Touch.
Egal ob in den USA, Belgien oder Deutschland: Der noch junge Kreativ-Biermarkt befindet sich in einem rasanten Wandel. Viele neue, aber auch etablierte Spezialitätenbrauereien setzten neben ihren starkgehopften, alkoholreichen India Pale Ales, Imperial Stouts und Barley Wines zunehmend auf klassische deutsche Bierstile. Grund: Konsumenten wollen neben den beliebten Geschmackexplosionen auch solide, alkoholarme Sude, von denen sie auch mal mehrere Gläser genießen können ohne nach ein paar Schluck gleich vom Sessel zu kippen.
Der noch junge Kreativ-Biermarkt besinnt sich zunehmend auf die Trinkbarkeit.
Einige Brauer haben erkannt, dass sie neue Märkte nur erobern können, wenn sie sich – jenseits ihrer angestammten Experimentierfelder – an breiten Kundenwünschen orientieren. So widmen sie sich derzeit verstärkt unkomplizierten, aber dennoch modern interpretierten Klassik-Suden. Das Stichwort der Stunde heißt: Trinkbarkeit. Und welche Bierstile bieten sich dafür besser an als Pils, Helles und Weißbier. US-Brauer haben dies schon länger erkannt und erweisen sich wieder einmal als Vorreiter für diesen Trend. So schwört etwa Ken Grossman, Chef der Sierra Nevada Brewing Company in Kalifornien und ruhmreicher US-Craft-Pionier, schon seit einiger Zeit: „Hocharomatische Sude mit weniger Alkohol und hoher Trinkbarkeit sind die Zukunft der internationalen Bierbranche“. Er selbst führt bayerisches Weißbier und Pils in seinem Portfolio – allerdings nach ganz ureigenen Geschmacksmustern.
Auch wenn traditionelle Typologien nach deutschem Muster gerade in den USA auf dem Vormarsch sind, so zählen diese in Deutschland nach wie vor zu den meistgetrunkenen Biersorten – obwohl der Trend beim Gesamtausstoß von Pils, Hellen und Weißbier in den vergangenen Jahren eher rückläufig verlief. Das Geschmacksverhalten hierzulande verdeutlichen auch die aktuellen Statistiken des Deutschen Brauerbundes in Berlin. Zwar ist Pils nach wie vor der Germanen liebster Trunk. Nach den Zahlen des Verbandes liegt der Anteil am gesamten Ausstoß bei mehr als 55, der Verkaufsanteil sogar bei rund 70 Prozent. Danach folgen Export- und Weizenbiere. Die größten Steigerungsraten wurden im vergangenen Jahr aber bei Spezialitätenbieren und individuellen Hellem verzeichnet.
Wie geht die Kreativbierszene mit der Vorliebe für Pils & Co. um?
Diese Entwicklung gibt vor allem Kreativ-Brauern gehörigen Auftrieb, die zunehmend klassische Bierstile in ihr Portfolio aufnehmen. Die jungen Marktplayer haben gelernt, dass es nicht ganz einfach ist, selbst eingefleischte Biertrinker mit finessenreichen Hopfensäften à la IPA oder Imperial Stout zu beglücken. Die allgemeine Vorliebe für Pils & Co. kommt den Brauern dabei sogar entgegen. Als gängige Marktstrategie versuchen sie deshalb jetzt ihr Können an etablierten Bierstilen auszutoben und diesen – bei mäßiger Hopfenzufuhr – dennoch einen individuellen Geschmack mitzugeben. Für Dario Stieren Braumeister bei der Munich Brew Mafia hat der Strategiewechsel einen schlichten Grund: „Wir brauchen neue Zielgruppen, die uns ein anhaltendes Branchenwachstum versprechen.“
Ob solch traditionelle Bierstile dann tatsächlich noch der Kreativbierszene zuzuordnen sind, scheint den Craft-Bierfans ziemlich egal. „Wichtig ist vielmehr, dass die Sude ihren individuellen Charakter bewahren“, unterstreicht Wolfgang Stempfl, langjähriger Geschäftsführer der Genussakademie Doemens in Gräfelfing bei München und Urgestein der deutschen Braubranche. Kreativen Jungbrauern sei durchaus bewusst, dass sie ihre Biere, auch wenn es um traditionelle Sorten geht, keineswegs zum Allerweltstrunk verkommen lassen.
Zum Video „Craft Bier – mehr als Gerstensaft!“