Das Nachhaltigkeits-Puzzle im Hofbräuhaus München

Löschwassertank und Hofbräuhaus in München
Foto: © Staatliches Hofbräuhaus München

Tue Gutes und rede darüber. Bei Umweltschutz und nachhaltiger Produktion gäbe es noch viel Gutes zu tun. Im Bereich der nachhaltigen Bierproduktion ist das Staatliche Hofbräuhaus in München einer der Vorreiter. Und trotzdem hört man recht wenig von den vielen Maßnahmen, die dort durchgeführt werden. Warum? Weil nachhaltiges Wirtschaften für Dr. Michael Möller, Technischer Leiter, und Sebastian Utz, Umweltbeauftragter im Hofbräuhaus München einfach selbstverständlich ist.

„Wir reden im Hofbräuhaus nicht darüber“

Das Staatliche Hofbräuhaus in München engagiert sich stark für den Umweltschutz, nutzt diesen Fakt medial aber nicht. Nanu, was ist da los? Hat der Verbraucher kein Interesse?

Portrait Sebastian Utz und Dr. Michael Möller
Für Sebastian Utz und Dr. Michael Möller ist nachhaltiges Wirtschaften selbstverständlich (Foto: © Staatliches Hofbräuhaus München)

„Weil Umweltschutz für uns eine Selbstverständlichkeit ist. Und über Selbstverständlichkeiten reden wir nicht“, sagt Dr. Möller. Seit mehr als 20 Jahren ist das Hofbräuhaus München im Umweltschutz aktiv. Anfangs wurde dies auch im Marketing genutzt. Eine Studie hatte 2011 jedoch ergeben, dass dies nicht der Erwartungshaltung der Verbraucher an die Brauerei entspricht. Hofbräu München steht für klassischere Werte: bayerische Gemütlichkeit, Bierzelt, Oktoberfest und das Hofbräuhaus. „Eine Marketingkampagne in Sachen Umweltschutz geht an unserer Zielgruppe vorbei. Bio zieht bei uns nicht und erreicht eher das Gegenteil“, erläutert Möller. „Aber wir halten den Schutz der Umwelt mit Blick auf die nachfolgenden Generationen für selbstverständlich. Natürlich sind die Maßnahmen mitunter teuer und nicht immer wirtschaftlich.

Wir haben uns jedoch zum Ziel gesetzt, dies alles aus unseren eigenen Mitteln zu finanzieren – und nicht den Kunden dafür zahlen zu lassen. Und wir wollen etwas für die Region tun, so sinnvoll Wiederaufforstungsprogramme in Brasilien oder Indonesien auch sind. Wir gehen lieber viele kleine und wichtige Schritte hier vor unserer Haustür, zumal wir hier den größeren Einfluss darauf haben.“

Vorreiter der Braubranche

Vor zehn Jahren hat das Hofbräuhaus München als erste Brauerei überhaupt den Klimagasausstoß von Bier über die gesamte Wertschöpfungskette „vom Acker bis ins Glas“ ermitteln lassen. Es ist klar, dass die Bierproduktion CO2-Emissionen mit sich bringt. Die Brauerei verfährt nach dem klassischen Prinzip: 1. Vermeiden, 2. Verringern oder sonst (3.) Kompensieren. Neben den technischen Veränderungen bei der Bierproduktion haben auch weitere Maßnahmen dazu beigetragen, den CO2-Footprint bei Hofbräu München zu senken. Das beginnt mit Maßnahmen zur Reduktion des Papierverbrauchs, geht weiter mit der Umstellung des PKW-Fuhrparks von fossilem Brennstoff auf E-Mobilität und hat während der Corona-Pandemie mit der Beschleunigung der Digitalisierung nochmal Fahrt aufgenommen. „Schon der Ersatz vieler Dienstreisen durch Video-Konferenzen hat viel gebracht“, so Dr. Möller. „Aber“, ergänzt sein Kollege Utz, „wir müssen die Menschen mitnehmen und viel erklären. Der Entzug des eigenen Druckers z. B. war für einige schwierig. Das individuelle Verhalten muss sich ändern. Und das dauert seine Zeit.“

Sudhaus von Innen
Der Blick ins Sudhaus (Foto: © Staatliches Hofbräuhaus München)

Nachhaltigkeit als Vollzeit-Job beim Hofbräuhaus in München

In der Brauerei ist Sebastian Utz mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigt, ein Vollzeitjob. 2015 hatte der studierte Weihenstephaner Brauer aus München in dem Unternehmen als Umweltbeauftragter und Internationaler Braumeister angefangen. Er weiß genau, was hier in den letzten 20 Jahren alles passiert ist. Der offizielle Startschuss fiel 2001 mit der Validierung durch EMAS (Eco-Management and Audit Scheme der Europäischen Kommission in Brüssel). EMAS verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz und bildet das Rückgrat des gesamten Prozesses, wie Dr. Möller erläutert. Das Hofbräuhaus München ist eine von 26 EMAS-validierten Brauereien von insgesamt 647 Brauereien in Bayern und Mitglied im Umweltpakt Bayern sowie im B.A.U.M. e.V.dem Bundesdeutschen Arbeitskreis für Umweltbewusstes Management.

Optimierte Technik als Teil des Ganzen

Mehrwegkästen auf Fließband bei Flaschenabfüllung
Die neuen Mehrwegkästen wurden mit dem Umweltpreis ausgezeichnet (Foto: © Staatliches Hofbräuhaus München)

In der Produktion wurde so einiges verändert. Viele Einsparungen stammen daher schon aus der technischen Optimierung: 2012 kam eine neue Flaschenwaschmaschine, die erhebliches Einsparpotenzial offenbarte. Der Wärmeverbrauch sank um fünf Prozent, der Stromverbrauch um drei Prozent, der Wasserverbrauch insgesamt um vier Prozent. Hinzu kamen Einsparungen von fünf Prozent bei Lauge und zehn Prozent bei weiteren fünf Reinigungs- und Desinfektionsmitteln.

2013 folgte ein neuer Dampfkessel, der im Hofbräuhaus München den Verzicht auf Heizöl ermöglichte, 2015 ging eine Photovoltaikanlage zur Stromerzeugung in Betrieb, die 2016 20000 kWh Strom produzierte.

Zeitgleich wurde mit der Umstellung der Beleuchtung auf LED begonnen. 2017 wurde ein neuer Mehrweg-Kasten eingeführt, der den Umweltpreis gewann, 2019 das Sudhaus umgebaut. Dabei konnte nicht nur die Gesamtverdampfung von acht auf vier Prozent reduziert werden, es wurde hier auch das 2019 weltweit modernste Energiemesssystem in einer Brauerei mit mehr als 50 Sensoren des Herstellers Endress+Hauser installiert. Hinzu kamen 2020 ein neuer Flaschenfüller und eine neue Etikettier-Maschine mit niedrigerem Wasser- und Chemikalienverbrauch etc.

LED Beleuchtung im Gärkeller
Blick in den Gärkeller: überall wurde die Beleuchtung auf LED umgestellt (Foto: © Staatliches Hofbräuhaus München)

Pilotprojekt Wasserstoff-Auto

„Die Gesamtstrategie zielt auf die Reduzierung des CO2-Gehaltes ab“, sagt Dr. Möller. „Das hat eine andauernde Optimierung von Maßnahmen zur Folge.“ Ein Beispiel: So wurde 2013 ein Elektroauto als Poolfahrzeug angeschafft. Das habe sich aber aus Gründen mangelnder Reichweite und Flexibilität nicht für den Außendienst geeignet, zumal die Batterien der E-Autos in Sachen Nachhaltigkeit ihrerseits in der Diskussion stehen. 2017 wurden daher für den Außendienst Hybridfahrzeuge angeschafft. Seit 2020 läuft nun im Hofbräuhaus München ein Pilotprojekt mit einem Autobauer, bei dem ein Wasserstoffhybrid als Poolfahrzeug zum Einsatz kommt. „Wir beteiligen uns hier beim Test einer Kleinserie“, so Dr. Möller. Zwar sei die Produktion von Wasserstoff energieaufwändig, aber im Wirkungsgrad mit der von Benzin vergleichbar. Und bei Wasserstoff liegt noch großes Potenzial verborgen, schwärmt Dr. Möller. So könne man beispielsweise Windräder auch nachts laufen lassen und mit dem erzeugten Strom Wasserstoff auf Vorrat produzieren. Noch ist das Tankstellennetz in München zugegebenermaßen sehr dünn, aber die benachbarte Messe München denke über eine eigene Tankstelle nach. Wenn das Projekt der Wasserstofftankstelle durch die Messe München realisiert wird, hätte Dr. Möller Interesse, die brauereieigenen LKWs umzurüsten.

Regionale Klimaschutzprojekte bevorzugt

Ein großer Meilenstein stellt die 2017 offiziell vorgestellte HB-Klimastrategie dar. Sie hat neben der Senkung des betrieblichen CO2-Ausstoßes die CO2-Kompensation von 100 t jährlich durch bayerische Klimaschutzprojekte zum Ziel. Hiermit soll nicht nur die Schaffung eines bayerischen „Goldstandard“, im Vergleich zu globalen Projekten, sondern auch die langfristige Klimaneutralität des Hofbräuhauses München  erreicht werden. Konkret gehört dazu das Pilotprojekt Moorrenaturierung in Weitmoos bei Eggstätt, wo auf 2,6 ha über 50 Jahre verteilt 1115 t CO2 kompensiert werden.

Dr. Möller erzählt, dass dort seinerzeit Münchner Brauereien, darunter auch Hofbräu München, einen Torfstich betrieben. Getrockneter Torf diente bis in die späten 1920er-Jahre als Brennmaterial zum Brauen von Bier. Moore wurden zu Beginn des letzten Jahrhunderts daher gezielt entwässert. Aufgrund des besseren Brennwertes wurde Torf später durch Kohle ersetzt. Besonders brisant: Entwässerte Moore geben riesige Mengen an CO2 ab und tragen so massiv zur CO2-Produktion bei. Der Gedanke, dass gerade eine Brauerei zur Wiedervernässung des Moors beiträgt, begeistert: Auch wenn gerade diese Maßnahme durch hohe finanzielle und bürokratische Hürden gekennzeichnet ist, so schließt sich hier doch ein Kreis.

CO2-neutrales Oktoberfest dank Hofbräuhaus München

Begrüntes Dach
Das Dach der Brauereiverwaltung wurde begrünt (Foto: © Staatliches Hofbräuhaus München)

Ein weiteres Projekt dient dem Humusaufbau in landwirtschaftlich genutzten Böden, zusammen mit dem Partner CarboCert. Dahinter steht der Wunsch, die CO2-Emission in Zusammenhang mit den verschiedenen Hofbräu-Bier ausschenkenden Festbetrieben auf dem Oktoberfest zu kompensieren. Mit 100 t kompensiertem CO2 pro Jahr ist das Ziel, die auf der Wiesn entstehenden 66 t CO2 auszugleichen, sogar übererfüllt. „Natürlich gibt es von offizieller Seite andere Angebote, CO2 zu kompensieren“, berichtet Utz. „So haben wir es beispielsweise abgelehnt, die CO2-Rückgewinnungsanlage einer chinesischen Brauerei zu finanzieren, obwohl uns dies als Goldstandard-Projekt angeboten wurde. Wir wollten hier in Bayern aktiv werden.“

Viele weitere Puzzlesteine

„Natürlich“, möchte man sagen, schließt das Engagement auch klassischere Maßnahmen ein: Seit 2007 bezieht die Brauerei ihren Brauweizen aus Wasserschutzgebieten in Unterfranken. Im Rahmen der Aktion Grundwasserschutz erhält dieser Weizen eine um 40 Prozent reduzierte Stickstoffdüngung. Die Folge sind eine Verringerung der Nitratbelastung um 17 t, Grundwasserschutz und die Vermeidung von 80 t Klimagas. Das Hofbräuhaus München schließt zudem langfristige Verträge mit Landwirten, um unabhängiger vom Weltmarktgeschehen und den Spekulationen auf dem Getreidemarkt zu sein. Mit Vorteilen auf beiden Seiten.

Ein wichtiger Meilenstein war außerdem die Umstellung auf 100 Prozent Ökostrom ab 2009, berichtet Utz. Das hat seitdem in Summe über 20000 t CO2 eingespart. Von 2017 an bezieht die Brauerei ihr Gerstenmalz von regional ansässigen Landwirten und Mälzern.

Daneben gibt es natürlich noch viele weitere „Puzzlesteine“, die zum Thema Nachhaltigkeit gehören, zum Beispiel die Begrünung des Daches der Brauereiverwaltung. Oder das Projekt „HB steht für Honigbiene“: Die Auszubildenden der Brauerei kümmern sich dabei gemeinsam mit einem Imker um die vier Bienenstöcke auf dem Brauereigelände. Oder „Hektar Nektar“, eine Initiative, über die das Hofbräuhaus München fünf Jungimkern die Erstausrüstung finanziert.

Insektenhotel im Grünen
Hotelanlage im Grünen: das Insektenhotel (Foto: © Staatliches Hofbräuhaus München)

Auch verschiedene Projekte im Bereich Digitalisierung helfen, CO2 einzusparen. Haustrunk- oder Gehaltsabrechnungen erscheinen nicht mehr auf Papier, ebenso wenig LKW-Begleitdokumente. Moderne Software-Tools tragen dazu bei, die Zahl der Geschäftsreisen zu verringern oder Homeoffice zu erleichtern.

Auch Rückschläge gehören dazu

„Es hat nicht alles so geklappt, wie wir uns das erhofft haben“, gibt Dr. Möller unumwunden zu. Zwischen 2017 und 2020 sollte die Gründung einer „HB-Erzeugergemeinschaft“ erfolgen. Innerhalb der Erzeugergemeinschaft sollte es gesonderte Blühstreifen zwischen den Äckern geben, die Stickstoff-Düngung begrenzt und bestimmte Mittel, u. a. Glyphosat, verboten werden. Das ist leider nicht zustande gekommen. Ebenso das geplante Forschungsprojekt „Klimafreundlicher Braugetreideanbau in Bayern“. Und auch eine in Schieflage geratene kleine Mälzerei in der Nähe konnte nicht rechtzeitig gerettet werden. „Corona hat uns in einigen Bereichen ausgebremst“, so Dr. Möller.

Der Erfolg: minus 70 Prozent CO2-Ausstoß im Hofbräuhaus München

Alle funktionierenden Maßnahmen haben in den vergangenen Jahren jedoch zu einer enormen CO2-Reduktion geführt. Zwischen dem Beginn der Messungen 1998 und 2018 kann die Brauerei mit einem Rückgang von 70 Prozent CO2 bezogen auf kg CO2 pro hl aufwarten. Ein großer Erfolg!

Und damit nicht genug: Es gibt im Hofbräu München noch viele Pläne für die Zukunft. Dazu gehören Investitionen in zweistelliger Millionenhöhe: ein BHKW, neue Tanks, eine kieselgurfreie Filtration und eine neue Keg-Anlage. Geplant sind auch der Ersatz des Warenwirtschaftssystems, des Lagerverwaltungssystems und des Prozessleitsystems.

Schon für 2022 ist ein zweiter Tiefbrunnen vorgesehen, der den ersten Brunnen entlasten soll, inklusive neuem Wasserhaus und neuer Wasseraufbereitung. All dies wird auf Nachhaltigkeit und Umweltschutz ausgerichtet werden. „Wir messen im Moment sehr viele Parameter, die für die Nachhaltigkeit relevant sind, müssen aber noch die richtigen Maßnahmen sondieren“, resümiert Utz. Und Dr. Möller schließt: „Aber wir machen auf jeden Fall weiter. Einfach, weil das zu unserem Selbstverständnis gehört!“


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