Biertrends – Welche Richtung sollten Brauer einschlagen?

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Die Welt der Biere hat sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert. Angesichts des Wettbewerbs zwischen Hard Seltzer und Craft Bier, zwischen noch stärkeren Bieren und alkoholfreien Getränken, und nicht zuletzt angesichts der disruptiven Wucht von Corona stellen sich viele Brauer die Frage nach der Richtung, in die sie sich entwickeln sollten. Der renommierte Brauwissenschaftler Prof. Charles Bamforth beschreibt die heutige Situation und wagt einen Blick in die Zukunft.

Durch seine jahrzehntelange Forschung machte sich der britische Wissenschaftler Charles Bamforth im Brauereisegment einen Namen. Bis Dezember 2018 hielt er eine Professur für Mälzerei und Brauereiwissenschaft an der University of California. Statt sich danach in den Ruhestand zu begeben, folgte er der Einladung von Kevin Grossman, Gründer der Sierra Nevada Brewing Company, um das Unternehmen in Sachen Qualität zu beraten. Zur Einschätzung der Entwicklungen am Biermarkt gesteht er: „Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich einige der Entwicklungen, die sich in jüngster Zeit vor unseren Augen abgespielt haben, vorausgesehen hätte.“

Brauereien und ihre Produkte – gestern, heute, morgen

Trübe Biere als Erfolgsrezept

In den 1980ern war ich stolz darauf, für die Bass Brewing Company am Hauptsitz in Burton-on-Trent zu arbeiten. Als Leiter der Forschungsabteilung unterstand mir ein Team von mehr als 30 Wissenschaftlern. Dabei ging es mehr oder weniger um Grundlagenforschung, jedoch immer mit einer strategischen Ausrichtung.

Hätte ich damals vorgeschlagen, ein stark trübes Bier zu entwickeln, hätte ich mir einen neuen Arbeitgeber suchen müssen. Wir sahen es als unsere primäre Aufgabe an, dass unsere Biere „glanzfein“ ins Glas flossen, seien es die berühmten, im Fass gereiften Ales oder unser in der Flasche gereiftes Worthington White Shield.

Bier im Bierglas mit Spruch
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Die Doktorarbeit einer unserer Mitarbeiterinnen konzentrierte sich darauf, die reichlich vorhandenen Hefesedimente auf dem Boden der Flaschen möglichst kompakt und haftend zu machen. Mittlerweise haben die manchmal äußerst trüben „East Coast IPAs“ einen sehr großen Marktanteil in den Vereinigten Staaten erobert.

Entwicklung alternativer Getränke

Damals stellten wir bei Bass außerdem moderne Getränkekonzepte her. Mit einer geschmacksneutralen Alkoholbasis als Grundlage für viele verschiedene aromatisierte Getränke. Sehr erfolgreich war Hooper’s Hooch, ein „Alkopop“ mit Zitronengeschmack. Ein weiteres Getränk namens Coral schmeckte nach Maracuja und Papaya, es wurde mit einem Bild von aufblasbaren Papageien vermarktet. Dazu kam noch Flamingo, ein Getränk, das nach Erdbeeren schmeckte und durch enzymatisch abgebautes Eiweiß Schaum entwickelte.

Glass mit Limette und Chili Drink
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Eine ganze Reihe von Führungskräften (und dazu zählte auch ich) standen dieser Entwicklung skeptisch gegenüber. Wenn ein Konsument derartige Flüssigkeiten trinkt, kauft er kein Bier, was das Basisgeschäft einer Brauerei ausmacht. Aber der Kunde entscheidet, und es wäre dumm, dieses Potenzial zu vernachlässigen.

Und vielleicht ziehen viele Konsumenten ein süßes und fruchtiges Getränk einem vollmundigen britischen Bitter vor. Erstere Getränke werden wohl eher von jungen und nicht ganz so verantwortungsbewussten Menschen konsumiert, die leicht zu beeindrucken sind.

Vielleicht erweisen sich diese Alternativen als kurzlebig und sind nur eine Modeerscheinung, die sich genau so wenig auf dem Markt behaupten kann wie einige der grässlichen Biere, die dem unreflektierten Verbraucher in den letzten Jahren untergeschoben wurden. Da gibt es Biere mit Innereien, Biere mit absurd hohen Chiligehalten, Biere mit Erdnussbutter, Biere mit Speck.

Und nun noch die erschreckende Entwicklung, Alkohol mit Marihuana anzubieten. Gegen Marihuana habe ich nichts, obwohl ich es persönlich nie zu mir genommen habe. Jedoch habe ich das mulmige Gefühl, dass derartige Mixturen – und weitere groteske Gebräue, die mittlerweile von neuen Entwicklungsprogrammen zusammengewürfelt wurden – höchstwahrscheinlich den wieder erwachten Verfechtern des Alkoholverbots in die Hände spielen.

Vieles spricht noch immer für das Reinheitsgebot

Ich hoffe, die Leser verzeihen mir, wenn ich zugebe, dass ich ein großer Fan von vielen Bieren bin, die sich nicht an das deutsche Reinheitsgebot halten. Trotzdem behaupte ich, dass es viele Argumente für Malz, Hopfen, Hefe und Wasser gibt! Für uns alle, die wir leidenschaftliche Bierliebhaber sind, ist es äußerst wichtig, das Bier und die Brauer gemeinsam zu feiern und die tief verankerte Rolle von Bier in unserer Gesellschaft zu stärken. Initiativen wie die Beer & Cider Academy, das Cicerone-Programm und die Brewers of Europe müssen eindeutige und verantwortungsvolle Botschaften über die Vielfältigkeit von Bieren, Bier & Food Pairing und das Thema Bier und Gesundheit aussenden und ihre Angebote erweitern und vertiefen. Wir müssen uns jedoch auch vor Augen halten, dass viele Brauer mittlerweile über große Kapazitäten verfügen. Wenn diese nicht von Bier in Anspruch genommen werden, werden sich die Brauer überlegen, wie sie ihre Sudkessel verwenden können, wie z.B. zur Herstellung von alkoholhaltigen Apfelweinen.

Imagewandel für alkoholfreies und alkoholarmes Bier

Viele Brauer gehen auch zur Produktion von alkoholfreien und -armen Getränken über. Als ich noch bei Bass arbeitete, hatten wir unser Barbican. Geschmacklich war es zwar kein großer Renner, aber tatsächlich alkoholfrei (weniger als 0,05 Vol.-% Alk.). Es wurde mittels Vakuumstripping hergestellt. Ich persönlich bin nicht unbedingt ein großer Fan von alkoholfreien Bieren, für mich sind sie einfach nur wie koffeinfreier Kaffee. Warum sollte ich sie also trinken? Mich interessieren eher die alkoholarmen Biere mit 1,5–3 Vol.-%.

Als aktiver Sportler in meiner Zeit bei Bass liebte ich die lebhaften Wortgefechte im Pub nach einem Wettkampf. Und da ich anschließend fahren musste, bestellte ich ein kleines Helles – natürlich von Bass (4 Vol.-% Alk.) – gemischt mit einem kleinen Barbican in einem Halbliterglas. Für mich war dies das perfekte Getränk. Und tatsächlich liebäugelten wir mit dem Konzept eines alkoholärmeren Bieres in unserer Brauerei. Aber die Steuern machten uns einen Strich durch die Rechnung. Alle Getränke in Großbritannien unter 1,2 Vol.-% Alkohol waren steuerfrei. Das alkoholarme Bier, das wir schließlich herstellten, hatte 0,9 Vol.-% (Tennent’s LA). Es schmeckte zwar wesentlich schlechter als ein Bier mit 2 Vol.-% Alkohol, aber Steuerersparnis kann eine enorme Motivationskraft entwickeln.

Frauen mit Bier in Biergläsern
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Kurzer Blick in die Zukunft der Brauwirtschaft

Kommen wir zurück zu den Haupttriebfedern der Konsumenten: spontane Freude, Image, Gesundheit und Wohlbefinden, Kosten-Nutzen-Verhältnis und das, was ich salopp „Baustellen“ nennen würde. Keine der nachfolgenden Fragen dürfen wir aus den Augen verlieren, wenn wir uns die Brauwirtschaft der Zukunft vorstellen möchten:

  • Welche spontane Freude erzeugt ein Produkt? Wie ansprechend sind Verpackung und Symbolik? Entspricht es im Glas allen Erwartungen hinsichtlich seiner äußeren Erscheinung? Ist es süffig, sodass es der Verbraucher nochmals bestellen möchte? Passt es zum Trinkanlass? Stillt es beispielsweise den Durst nach dem Sport? Passt es zur Lieblingsspeise?
  • Welches Image verleiht mir das Getränk? Ist es cool, trendy und nicht etwas, das „alte Männer“ oder „alte Frauen“ trinken würden? Oder halte ich im Gegenteil die Traditionen hoch und bin meiner Marke gegenüber loyal?
  • Ist das Getränk eine gute Wahl hinsichtlich meiner Gesundheit und meines Wohlbefindens? Wie viele Kalorien hat es?
  • Weiterhin stellt sich die Frage nach dem Kosten-Nutzen-Verhältnis. Erhalte ich für mein Geld auch den „gewissen Gaumenkitzel“?
  • Und welche Baustellen schlummern schließlich im Verborgenen? Verwendet der Brauer auch tatsächlich nur die besten, gentechnisch unveränderten Rohstoffe? Wie hygienisch ist die Brauerei, in der das Bier hergestellt wird? Wird der Brauer seiner Verantwortung gegenüber seinen Mitarbeitern, seinen Kunden, Lieferanten und auch der Umwelt gerecht? Wie groß sind die Brauereien? Beschäftigen sie gut ausgebildete Mitarbeiter?

Alle oben angeführten Aspekte sind im Kontext der globalen Bevölkerungsentwicklung und der Umwelt zu erwägen. Nur wenige Menschen – mit Ausnahme der von den Populisten Geblendeten – leugnen die globale Erwärmung, die die Verfügbarkeit der Rohstoffe gefährdet. Man muss zweigleisig fahren: Einerseits sollte man den Klimawandel bekämpfen und andererseits Sorten hoher Hitze- und Trockenresistenz anpflanzen. Und die Brauer müssen Verfahren entwickeln, die sowohl Wasser- als auch Energieeinsatz und Emissionen reduzieren.

Auch die Technik ist gefragt. Neue Entwicklungen hinsichtlich Sensoren, Kommunikationsmitteln und Werkstoffen sind absehbar. Und irgendwann werden wir auch die menschlichen Sinnesorgane besser verstehen, was zur Produktentwicklung und -optimierung beitragen wird. Wie können wir ein Getränk entwickeln, das bestimmte Speisen optimal begleitet? Wie stimmen wir die Ernährung (und dazu zählt auch Bier) speziell auf die genotypische und phänotypische Ausprägung eines Individuums ab?

Würden wir in eine Brauerei des 15. Jahrhunderts zurückversetzt, so könnten wir sofort anhand des Aussehens und des Geruchs erkennen, dass wir uns in einer Brauerei befinden. Würden wir uns aber in das 26. Jahrhundert zoomen … würden wir eine Brauerei erkennen? Das will ich zwar hoffen, aber beträchtliche Zweifel sind angesagt.


Sie möchten Ihre Entwicklungen und Innovationen der Getränkeindustrie einem internationalen Fachpublikum präsentieren? Dann laden wir Sie herzlich ein, an der nächsten drinktec vom 12. bis 16. September 2022 in München teilzunehmen.

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