Alkoholfreie Bierspezialitäten als Lifestyle-Produkt
Mit dem internationalen Fitness- und Gesundheits-Boom liegen jetzt auch alkoholfreie Biere im Trend. Die neuen Sorten sind häufig mit kreativen Hopfen- und Malzmixturen gebraut, sodass sie sich geschmacklich kaum noch von normalen Gerstensäften unterscheiden.
Alkohol gilt bekanntermaßen als Geschmacksträger. Deshalb genossen Biere ohne prozentuale Power lange Zeit den Ruf, als langweilige, wässrige und charakterlose Allerweltsgetränke. Jetzt erleben alkoholfreie Spezialitäten allerdings einen internationalen Imagewechsel. Nach aktuellen Zahlen des Deutschen Brauerbundes in Berlin sind „bleifreie“ Sude in verschiedenen Formen und Stilen stark im Trend. Dabei geht es aber nicht nur um die altbekannten Klassiker, sondern vielmehr um neue Kreationen mit spannenden Hopfen- und Malzaromen. Viele von ihnen kommen aus Craft-Bier-Brauereien.
Trendsetter Deutschland: 400 alkoholfreie Biersorten
Bei der Produktion von alkoholfreien Bieren gilt Deutschland noch als einsamer Spitzenreiter. Der Brauerverband rechnete im vergangenen Jahr einen Gesamtausstoß von rund 5,5 Millionen Hektolitern vor. Das entspreche gut sechs Prozent der gesamten hiesigen Bierherstellung. Für Gesundheits-Apostel ist die Bundesrepublik ein Eldorado, denn inzwischen können Fans von alkoholfreien Suden zwischen rund 400 Sorten wählen. Dabei geht es nicht mehr nur um Pils, Helles oder Weißbier, sondern auch um die weniger bekannten Stile der Craft-Bier-Szene wie Pale Ale, India Pale Ale und Stout. Experten sind sich sicher, dass die Bedeutung dieser Sorten noch weiter steigen wird, denn die Zeiten, in denen Alkoholfreies nur für Autofahrer interessant war, sind längst vorbei. „Alkoholfreie Biere sind heute ein Lifestyle-Getränk, das durch seine Vielfalt und seinen Geschmack überzeugt“, bekräftigt Holger Eichele, Geschäftsführer des Deutschen Brauer-Bundes in Berlin.
Spezielle Verfahren für maximal 0,5 Prozent Alkohol
Aber sind denn solche Biere wirklich immer 100 Prozent alkoholfrei? Nicht ganz: Während in Spanien oder Frankreich auch Sude mit einem Prozent Alkoholgehalt noch als alkoholfrei deklariert werden dürfen, liegt der Wert in Deutschland bei maximal 0,5 Prozent Alkohol. Diese geringen Spuren an Alkohol sollen angeblich aber keine maßgeblichen Auswirkungen auf den menschlichen Körper, beziehungsweise auf die Fahrtüchtigkeit haben. Solche Werte lassen sich sogar in Fruchtsäften, Kefir oder Sauerkraut messen. Für die Herstellung von alkoholfreien Bieren arbeiten die Brauer mit hohem technischen Aufwand und speziellen Verfahren. Die gängigsten Methoden sind die sogenannte gestoppte Gärung, bei der der Gärprozess bei 0,5 Prozent abgebrochen wird oder in einem anderen Prozess, bei dem später Ethanol entzogen wird. Immer beliebter wird allerdings die Verwendung von speziellen Hefen mit geringem Vergärungsgrad.
Geschmackvolle Leichtgewichte
Als ein Musterbeispiel für letzteres Verfahren gilt das „ü.NN“ (überNormalNull), ein Bier von der Kehrwieder Kreativbrauerei aus Hamburg. Oliver Wesseloh verwendet für sein unfiltriertes, 0,4-prozentiges India Pale Ale eine besondere Hefe, die nur wenig Alkohol erzeugt. Ausgewählte Hopfensorten bringen indes ein volles Fruchtaroma von Mango und Ananas ins Bier, sodass es keinesfalls einen langweiligen Charakter vorweist. Selbst interessante Bitternoten – bedingt durch den Hopfenmix – sind wahrzunehmen. Wer nicht weiß, dass es sich hierbei um ein Alkoholfreies handelt, würde es beim Genuss wahrscheinlich auch kaum vermuten.
Ein weiterer deutscher Topseller unter den geschmackvollen Leichtgewichten ist das „Liberis 2+3“ aus dem Hause Riegele in Augsburg. Zwei Spezialhefen und die drei Hopfensorten Amarillo, Mandarina Bavaria und Simcoe zaubern ein tropisches Geschmacksbild. Damit konnte das Riegele-Team bereits Medaillen bei diversen Bierawards abholen.
Alkoholfrei goes international
Aber nicht nur in Deutschland liegen alkoholfreie Biere im Trend, sie erfreuen sich vielmehr international wachsender Beliebtheit. Die Nirvana Brewery in London hat sich beispielsweise nur auf Biere ohne Prozentpower spezialisiert. Im Portfolio führen die Macher neben dem „Kosmic Stout”, das mit Noten von Schokolade und Vanille überzeugt, auch ein bleifreies Pale Ale nach englischem Stil namens „Tantra” sowie ein alkoholfreies aber knackig-fruchtiges India Pale Ale. Ziel der UK-Brauerei ist es, solche Biere aus dem „geschmackslosen Image“ herauszuholen und den Markt mit alkoholfreien Aromawundern zu revolutionieren.
Etwas nördlicher von London rühmt sich die schottische Brauerei Brewdog mit einem 0,5-prozentigen, bernsteinfarbenen India Pale Ale namens „Nanny State“. Vollen Geschmack erzielen die Schotten durch die Beigabe von acht verschiedenen Malzen und fünf speziellen Hopfensorten. Auch der renommierte dänische Starbrauer Mikkel Borg Bjergsø beweist mit seiner Marke Mikkeller und gleich mehreren alkoholarmen Suden im Portfolio, dass in diesem Segment viel Geschmack und Kreativität stecken können. Jetzt plant der Däne gleich noch eine ganze alkoholfreie Serie unter dem Namen „Flemish Primitive“. Die erste Sorte, ein Wild Ale, kam gerade auf den Markt und heißt „Henry & his Science“.
Bier für die Gesundheit
Während sich deutsche, englische und schottische Brauer als Vorreiter des Alkoholfrei-Trends bezeichnen, versuchen sich auch zunehmend andere Nationen an diesen Suden. Vandestreek Bier in Utrecht legt etwa ein alkoholfreies Ale namens „Playground“ mit Mosaic-, Citra- und Cascade-Hopfen vor. Und auch polnische Bierzauberer setzten auf vollen alkoholfreien Hopfengeschmack. Browar Kormoran in Olsztyn veredelt ihr „1 na 100 Lite APA” mit der Sorte Citra und verwendet spezielles Roggenmalz. Das Brauerei-Team wirbt damit, dass sich ihr Bier ideal für die Entspannungsphase nach dem Sport anbietet. Denn: Alkoholfreie Sude sind kalorienarm, vitaminreich und isotonisch und damit in puncto Gesundheit einwandfrei. Angeblich gleichen sie den Flüssigkeitsverlust und die ausgeschwitzten Mineralien aus. Ein großer Vorteil, denn so können sportliche Bierfans gleich zwei Hobbys miteinander vereinen und auch problemlos mit dem Auto aus dem Fitnessstudio nach Hause fahren.