Experimentierfreude vom Feinsten

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Durch die Craft-Bier Bewegung wird mit Hopfen, Malz und modernen Brautechnologien mehr experimentiert als je zuvor – vor allem in deutschen Versuchsbrauereien. Hier entstehen unter Laborbedingungen die Gerstensäfte der Zukunft.

Einst dienten Versuchsbrauereien weniger dazu, neue Biersorten zu entwickeln. Das Ziel war eher, den Brauprozess unter verschiedenen Bedingungen zu erforschen, die sich durch unterschiedliche Malzqualitäten, Hopfensorten, Temperaturstufen und Technologie-Einsatz ergeben. Das machen die Forschungswerkstätten auch immer noch, doch jetzt hat die Entwicklung des Craft-Bier Marktes eine neue Dynamik entfacht. Inzwischen ist ein Wettbewerb um Rezepte, Düfte und Geschmäcker entbrannt. Egal ob Großbrauerei, Bier-Universität oder Craft-Braustätte, an allen Sudkesseln reanimieren kreative Macher jetzt alte Rezepte oder entwickeln ganz neue Produkte.

Eine dieser Kreativschmieden ist das wohl älteste Forschungszentrum zum Thema Bier in Weihenstephan. Hier in Freising auf dem heiligen Berg, rund 30 Kilometer von München entfernt, ist Johannes Tippmann, Leiter der Forschungsbrauerei, überzeugt von seiner wissenschaftlichen Arbeit: „Wir experimentieren hier an drei Sudwerken mit komplexer Technik und allen machbaren Rohstoffen in breit angelegten Versuchsreihen, dabei lassen wir keine kreative Bier-Idee aus.“

Weihenstephan gilt als Musterbeispiel für experimentelles Brauen, auch wenn die Biere zunächst nicht zum Verkauf gedacht waren, sondern nur für Ausbildungs- und Testzwecke – und dem persönlichen Vergnügen der Macher. Inzwischen können Interessenten die Sude allerdings auch im Freisinger Craft-Bier Shop namens „Bierhandwerk“ kaufen – ein echter Geheimtipp für Freunde des Gerstensaftes.

Ein weiterer Hotspot firmiert unter dem Namen „Craftwerk Brewing“, eine Pilotbrauerei der Bitburger Gruppe. Deren Bierspezialitäten sind auch international zu bekommen. Das dauerte aber rund 25 Jahre. Denn bereits 1991 laborierte die Versuchswerkstätte mit für die damalige Zeit eher ungewöhnlichen Produkt-Neuheiten. Getrunken wurden die neuen Sude vorerst begeistert nur von Mitarbeitern auf Betriebspartys. Nach internen Zuspruch beschlossen die Bitburger dann 2013 die Geburt einer eigenen Marke: Craftwerk Brewing. Stefan Hanke, Chef-Braumeister, sieht in seiner Kreativ-Werkstatt eine Keimzelle für Produkt-Neuheiten und individuelle Bierkreationen: „Maßgeblicher Impuls für unseren Start war vor allem der Craft-Bier Trend gewesen.“

Getüftelt wird in der Braubranche aber nicht nur am Endprodukt. Auch das Hopfenveredlungswerk in St. Johann in der Hallertau verfügt über eine eigene Forschungsbrauerei. Dort rührt Braumeister Michael Trübswetter mehrmals pro Woche an den Kesseln um verschiedenste Hopfensorten im Arbeitsprozess zu testen. Im nahegelegenen Bamberg, bei Weyermann, eine der größten Malzfabriken weltweit, wird auch über neue Rohstoffkombinationen gegrübelt. Hier können sich motivierte Brauer in die Anlage einmieten und unterschiedliche Malzsorten im professionellen Brauverfahren durchspielen.

Gemütlicher geht es in der Forschungsbrauerei Perlach zu. Hier südöstlich vom Münchner Stadtzentrum können Gäste gleich im hauseigenen Biergarten handwerkliche Kreationen testen. Gründer Gottfried Jakob hat einst sein Leben dem Gerstensaft verschrieben, heißt es in der Historie, und zwischen 1905 und 1935 insgesamt fünfzig Patente rund um die Bierherstellung angemeldet.

Was Rohstoffproduzenten, Großbrauereien und Universitäten im wissenschaftlichen Stil betreiben, gehört bei den Craft-Brauern zum täglichen Praxis-Programm. Im Grunde tun sie nichts Anderes als in kleinen Mengen zu experimentieren und erweisen sich damit als Vorreiter neuer Geschmacksrichtungen. Ihre Kreativ-Sude können Interessenten auf der kommenden drinktec probieren. Nicht nur im place2beer Areal, wo kreative Startups ihre Biere vorstellen und Gästen von ihren Erfahrungen und Zielen berichten. Am Stand der TU München können Gäste auch einiges über Sensorik, das Braustudium sowie Brautechnik lernen, und vor allem auch die besonderen Kreationen der Freisinger Forschungsbrauerei degustieren.

Mareike Hasenbeck

Mareike Hasenbeck ist freie Journalistin, Craft-Bier-Bloggerin von Feiner Hopfen sowie Biersommelière und international DLG geprüfte Sachverständige für Bier-Sensorik.