Sensorische Qualitätskontrolle neu gedacht

sensorisches Qualitätsmanagement
Bei der sensorischen Analytik ist nicht nur Training entscheidend, es braucht eine Menge Konzentration und Gewissenhaftigkeit (alle Fotos: Axel Kiesbye)

Die Beurteilung des Brauprozesses aus sensorischer Sicht ist heute ein wesentliches Instrument des Qualitätsmanagements. Sind die menschlichen Sinne doch viel leistungsfähiger als jedes Analyseninstrument. So hat beispielsweise die Drinkability als sensorisches Gesamtbild für den Reiz zum Weitertrinken einen enormen Einfluss auf den Verkaufserfolg von Biersorten. Messgeräte alleine können diesen Erfolgsfaktor nicht erfassen.

Ein neuer Denkansatz für die Sensorik in der Brauwirtschaft

Die Sensorik liefert fast in Echtzeit Ergebnisse, sie ist nahezu unabhängig von Ort und Zeit. Sensorik kann ganz genaue Antworten auf nahezu unzählige, spezifische Fragestellungen geben: Ob das Pils so schmeckt, wie es auf dem Etikett beschrieben ist? Hält das Helle seine Frische über die vollen sechs Monate des MHD? Wie wirken sich die veränderten Gärtemperaturen auf das Nelkenaroma des Weizenbieres aus? Dabei schärft die Sensorik auch noch das allgemeine Qualitätsbewusstsein, und zwar abteilungsübergreifend in der gesamten Mitarbeiterschaft.

Die „Geschmäcker“ sind individuell

Die Messleistungen unserer Sinne sind für jeden Menschen so einzigartig wie seine Fingerabdrücke. Sie hängen von aktuellen körperlichen Zuständen, gemachten Erfahrungen, Trainingszuständen, Erwartungshaltungen und anderen emotionalen Faktoren ab. Wohlwissend, dass eben „Geschmäcker“ unterschiedlich sein können, wird der sensorischen Betriebsanalyse bei unliebsamen Ergebnissen gerne das Vertrauen entzogen („das falsche Glas, falsche Verkostungs-Temperaturen, das Bier zu frisch oder zu alt, der Verkosterkreis zu klein usw.“).

Das Vertrauen in die Sensorik fehlt bislang

Die Folge: Die Ergebnisse werden nicht ernst genommen, es werden keine Erkenntnisse aus dem sensorischen Prüfergebnis gezogen, keine betrieblichen Verbesserungsmaßnahmen in Gang gesetzt. Erfolgen dann tatsächlich mal betriebliche Anpassungen, werden die Folgen dieser Anpassung nicht mehr sensorisch überprüft und verifiziert. Der Sensorik wird nicht vertraut, weil sie nicht wissenschaftlich präzise genug umgesetzt wird. Und die wenigsten Brauereien haben eine eigene sensorische Philosophie, die an die Firmen-DNA, die Absatzwege und die Sortimentsbreite angepasst ist. Fragen wie „Sollen sich unsere Biersorten klar sensorisch voneinander unterscheiden? Sollen unsere Biere eine für die Kunden klare Erkennbarkeit und Einzigartigkeit hinsichtlich Restsüße, Hopfenbetonung oder Malzkörper haben?“ werden zu selten gestellt.

Oft erscheint die Verkosterrunde lediglich als freude- und genussbringende Teambuilding-Therapie für den Freitagmittag, damit es dann danach gut angeheitert ins Wochenende gehen kann.

Teuer und nicht nachhaltig

Leider ist bis dato das sensorische Qualitätsmanagement eines der teuersten Analyseverfahren überhaupt. Erstaunt? Ein Rechenbeispiel: Um zumindest aus methodischer Sicht ein statistisch verlässliches Ergebnis zu bekommen, sollte die Verkostergruppe bei jeder sensorischen Prüfung aus mindestens fünf bis sieben geschulten Personen bestehen.

In der Praxis werden da gerne Mitarbeiter zusammengestellt, die zeitlich flexibel sind und möglichst unabhängig von der aktuellen Bierherstellungsroutine regelmäßig an den sensorischen Kreisen teilnehmen können. Neben den Führungskräften aus Produktion, Abfüllung und Qualitätssicherung sind gerne leitende Mitarbeiter aus dem Verkauf und Marketing und auch der Inhaber persönlich dabei.

Eine Verkostung aller abgefüllten Biere einer Produktionswoche oder auch eine vergleichende Verkostung von Eigenbieren mit Marktbegleitern, kombiniert mit einer kleinen Schulung und einer abschließenden Diskussion der Ergebnisse, kann mit allen Vor- und Nachbereitungsarbeiten eine Stunde dauern. Das kann sich über das Jahr zu mehreren zehntausend Euro Personalkosten addieren. Hinzu kommt noch der permanente Trainingsbedarf. Auf uns strömen täglich unzählige sensorische Eindrücke ein, und wir können die Sensibilität für bierspezifische Aromen nur dann erhalten, wenn laufend trainiert, insbesondere wiederholt wird. In der Praxis ändert sich durch Urlaub, Krankheit oder Personalfluktuation die Zusammensetzung des sensorischen Expertenteams laufend.

Regelmäßige Schulungen des Panels? Noch teurer!

Sollen Sensorikkurse tatsächlich nachhaltig sein, müssten sie mehrmals im Jahr sowie situativ bei größeren Veränderungen im Verkosterpanel durchgeführt werden. Dann wird es aber richtig aufwendig und teuer.

Das Dilemma aus Ziellosigkeit und hohem Aufwand führt dazu, dass in vielen Unternehmen die Sensorik als so wichtiges Qualitätssicherungsinstrument nur spärlich zum Einsatz kommt. Im folgenden Konzept wird daher nun ein Weg beschrieben, die Sensorik nachhaltig im Unternehmen zu verankern.

Sensorik-Aufgaben
Spielerische Elemente bei Sensorik-Aufgaben motivieren die Teilnehmer

Train the Trainer

Die sensorische Beurteilung von Bieren im Rahmen von Produktentwicklungsprozessen, in der täglichen Brauroutine einschließlich aller mit Bier in Berührung kommender Hilfsstoffe oder aber vom fertigen Produkt einschließlich seiner Verpackung, hat in anderen Bierkulturkreisen eine erheblich höhere Bedeutung als bei uns. So leistet sich die amerikanische Boston Beer Company mit Annette Fritsch einen „Senior Director of Product Development and Sensory“, Firestone Walker kennt mit Craig Thomas einen „Sensory Research Analyst“, die Allagash Brewing Company hat mit Karl Arnberg einen „Sensory Program Manager“ und internationale Lambic-Brauer beschäftigen „Blender“ in ihren Reihen, die wie Lauren Limbach von der New Belgium Brewing Company insbesondere im Holzfass-Reifekeller ihren Einsatzort haben.

Brauerei Sensorik
Der zertifizierte Diplom Brauerei Sensoriker beschäftigt sich auch mit Hilfsstoffen, Gläsern, Verpackungen u.v.m.

Die sensorische Expertise sollte also direkt im Unternehmen angesiedelt sein, um die vielfältigen sensorischen Aufgaben effizient und unter Ausschaltung sämtlicher Qualitätsfehler so durchführen zu können, dass keinerlei Zweifel am sensorischen Ergebnis aufkommen können.

Interne Fachkraft bündelt sensorisches Expertenwissen

Exzellenz zeigt sich, wenn aus festgestellten Auffälligkeiten wie beispielsweise Spuren von DMS oder Diacetyl konkrete Tipps zur Behebung vorgeschlagen werden können. Der Sensorikprofi ist der Trainer für sämtliche interne Schulungen, kennt alle relevanten Testverfahren, Formulare, Auswertetools, bereitet alle Verkostungen vor, sucht das passende Personal aus und kann selbst Bierfehlerkonzentrate kostengünstig einkaufen oder herstellen und verwenden. Sinneseindrücke werden in eine verständliche Biersprache und plakative Bilder übersetzt, und Biere werden auf Biersommelier-Niveau präsentiert und inszeniert. Für die wichtigsten nationalen und internationalen Bierstile kennt die Fachkraft das exakte sortentypische, sensorische und analytische Profil, aber auch von den eingesetzten Hilfsstoffen wie Kohlensäure, Sterilluft, Filterhilfsmittel oder Desinfektionsmittel hat sie die gewünschte und unerwünschte Aromatik parat.

Axel Kiesbye
Axel Kiesbye, Pionier der internationalen Biersommelier-Bewegung gibt sein Wissen unter anderem in der modularen Berufsausbildung zum zertifizierten Diplom Brauerei Sensoriker weiter

Für diesen internen Experten, der dann in Zukunft alle externen Sensorikkurse überflüssig machen soll, gibt es ab September 2022 eine eigene, exakt auf die Brauwirtschaft ausgerichtete Berufsausbildung. In acht berufsbegleitenden Modulen mit insgesamt 185 Unterrichtseinheiten, mit einer Gesamtdauer von ca. sechs Monaten, teilweise im digitalen Format auch bequem und zeitlich unabhängig vom Arbeitsplatz aus zu absolvieren, schließt die Ausbildung zum zertifizierten Diplom Brauerei-Sensoriker ab (Infos auf www.bierkulturhaus.com).

Experten-Cloud nutzen

Neben den Kosten für Flavourkapseln und Sensorikkurse sind ja wie geschildert die Personalkosten beachtlich. Oft beginnt das Problem in kleinen Betrieben schon damit, nicht ausreichend qualifizierte Mitarbeiter in den eigenen Reihen zu haben. Zudem unterliegen die aus eigenen Mitarbeitern bestehenden Verkosterpanels verschiedenen Qualitätsfehlern:

Gegenseitige Beeinflussungen: Gerade wenn verschiedene Unternehmenshierarchien zusammentreffen, ist nicht immer gewährleistet, dass eine offene Gesprächskultur vorherrscht. Ist eine Anonymisierung nicht möglich oder nicht erwünscht, kann die Aussagekraft bei qualitativen Tests leiden;

Vorwissen schafft Erwartungen: Ein Braumeister, der gerade die Hopfenrezeptur geändert hat, wird für den Bittereindruck eine andere Sensibilität entwickeln als der Mitarbeiter aus dem Verkauf, der ohnehin hohen Bitterwerten als verkaufshemmend negativ gegenübersteht;

Bekanntes sensorisches Profil: Man erkennt z. B. seine Biere aus Vergleichsbieren heraus, weil man sich diese über den täglichen Konsum gut eingeprägt hat. Der Mensch hat sowohl ein Geschmacks- wie auch Geruchsgedächtnis und verknüpft die Eindrücke mit Emotionen und Erinnerungen. Eine objektive Bewertung ist dann kaum möglich.

Um herauszufinden, ob die Biere am Markt eine hohe Beliebtheit oder Präferenz haben, sollte man bestenfalls auch den Markt befragen. Personen, die aufgrund ihrer sensorischen Fähigkeiten in der Lage sind, Biere fachgerecht beurteilen zu können, aber in keinem Nahverhältnis zur Brauerei stehen. Mittlerweile gibt es im gesamten deutschsprachigen Raum tausende von Personen, die zumindest sensorische Grundkenntnisse haben: Diplom Biersommeliers, Biersommeliers, Bierbotschafter, Beerkeeper usw.

Diese Personen, oftmals richtige Biernerds, verkosten leidenschaftlich Bier. Sie machen es gerne, in ihrer Freizeit und oft auch kostenlos. Digitale Biertastings sind zur Normalität geworden, der Versand von Bierproben wird von Profis fach- und zeitgerecht durchgeführt. Nutzen wir doch die Biersommelier-Bewegung für die eine oder andere sensorische Betriebsanalyse. Auf der Biersommelier-Verbandsseite findet man eine Suchfunktion, wo alle Diplom Biersommeliers aus der Region erscheinen und mit denen man dann unkompliziert in Kontakt treten kann.

Zusammenfassung

Das sensorische Qualitätsmanagement sollte zielgerichtet auf konkrete Problemstellungen aufgebaut werden. Sensorische Fragestellungen tauchen dabei in vielen Bereichen einer Brauerei auf. Um verlässliche Analyseergebnisse zu bekommen, sind bei der Durchführung von sensorischen Tests einige Details zu berücksichtigen, für deren Organisation eine hohe Expertise notwendig ist. Die neue Ausbildung zum Diplom Brauerei Sensoriker schließt diese Lücke am Markt. Als Verkosterteam bieten sich die aus dem Biersommelier-Wesen hervorgegangenen Bierexperten an, die diese Aufgabe objektiver, marktkonformer und vielfach auch günstiger erledigen können als eigene Mitarbeiter.


Sie möchten sich mit einem internationalen Fachpublikum über die Entwicklungen der Getränkeindustrie austauschen? Dann laden wir Sie herzlich ein, an der nächsten drinktec vom 12. bis 16. September 2022 in München teilzunehmen.

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BRAUWELT

Die Fachzeitschrift BRAUWELT veröffentlicht in drei Ausgaben pro Monat praxisnahe Anwenderberichte, wissenschaftliche Fachartikel über die neuesten Forschungsergebnisse sowie Reportagen und Marktberichte aus der Brau- und Getränkebrache. Auf brauwelt.com/de finden die Leser alle aktuellen Artikel und ein umfangreiches Archiv. Im Fachverlag Hans Carl erscheinen zudem die internationalen Ausgaben der BRAUWELT in Spanisch, Russisch und Chinesisch sowie die englischsprachige BRAUWELT International.